Lounge Entertainment, Premiere: 10.02.2001
THAT`S A WOMAN AND HALF - HILDEGARD KNEF

Im November 1999 sprach die Regisseurin des Films, Clarissa Ruge, Matthias Zuber an, ob er Interesse hätte, an einem Film über Hildegard Knef mitzuarbeiten. Das Projekt war damals noch im Exposé-Stadium. Ein Film mit und über Hildegard Knef, dem letzten großen damals noch lebenden Star aus Deutschland. Das ist eine Herausforderung. Im Januar 2000 begannen die Arbeiten am Buch zu dem Film. Clarissa Ruge und Matthias Zuber recherchierten gemeinsam in Berlin, trafen Hildegard Knef zu mehreren Gesprächen, die auf Tonband aufgezeichnet wurden und die das Fundament des Buches bildeten. Im Juni begannen dann die Dreharbeiten. Zuerst in Berlin, Wien, Köln. Dann fuhr das Team (Kamera: Martin Farkas) mit dem Luxusdampfer "Queen Elizabeth II" nach New York, von dort ging es per Flugzeug weiter nach Los Angeles. Gemeinsam besuchte man die Plätze ihrer internationalen Karriere. Matthias Zuber begleitete den gesamten Dreh und Teile des Rohschnitts als Berater. Am 10. Februar 2001 hatte der Film dann Premiere auf der Berlinale. Im gleichen Jahr wurde er für den Bundesfilmpreis nominiert.

Impressionen eines Drehtags:

Er hat es nie zugegeben. Doch auf den Blick von der Terrasse aus aufs Meer war Thomas Mann immer ein wenig neidisch. "A veritable castle by the sea", nannte er die Villa der Feuchtwangers. Den Schriftsteller Lion Feuchtwanger und seine Frau Marta verschlug wie die Manns der Nationalsozialismus hierher. Auf der Zimmerdecke in dem riesigen Gesellschaftssaal mit dem schwarzen Flügel und dem offenen Kamin tobt das ausgehende Mittelalter. Draußen das Meer. Es ist mild. Das Schloß steht oben auf einem der Hügel. Die mediterran anmutenden Bäume im Park der Villa Aurora biegen sich leicht im Wind und unten macht der Pacific Coast Highway Number One eine gefährliche Kurve. Lion Feuchtwanger ist tot. Er starb am 21. Dezember 1958. Genau eine Woche vor Hildegard Knefs 33. Geburtstag. Hildegard Knef sitzt auf Feuchtwangers Terrasse bei Los Angeles, blickt aufs Meer. Sie ist 74, genauso alt wie Feuchtwanger, als er starb. In einem Interview auf die Frage, wie sie sich den Tod wünsche, antwortete die Knef einmal: "Gar nicht". Drinnen unter den Deckenschnitzereien, die maurischen Motiven aus der Kathedrale im spanischen Teruel nachempfunden sind, klirren Sektkelche. Die Villa Aurora, heute eine Stiftung für die europäisch-amerikanischen Beziehungen, hat zu einer Lesung geladen. Hildegard Knef ist der Star des Abends. Sie wird einige ihrer Gedichte vortragen. Wo einst Charles und Oona Chaplin, Heinrich und Thomas Mann, Bertold Brecht, Franz Werfel, Ludwig Marcuse, Arnold und Gertrude Schoenberg saßen und zuhörten, wenn Feuchtwanger die neuesten Kapitel aus dem Roman vorlas, an dem er gerade arbeitete, drängt sich jetzt ein Hauch vom deutschen Hollywood. André Eisermann, Maximilian Schell sind gekommen und dem Regisseur Eckart Schmidt klebt eine kleine Videokamera vor der Stirn, womit er aussieht wie ein digitaler Zyklop.

Die ganze amerikanische Angelegenheit war ziemlich unerfreulich. Von den jüdischen Schwiegereltern in New York geflüchtet, eine Lungenentzündung gerade überstanden, in Los Angeles aus der Wohnung geflogen. Kein gutes Jahr für Hildegard Knef und ihren Ehemann Kurt Hirsch. Es ist 1948. Der Krieg ist vorbei, jedoch nicht in den Köpfen der Menschen. Die alten Hirschs können ihr nicht verzeihen, dass sie eine Deutsche ist und ihrem Sohn nicht, dass er die "Schigse" mit nach Amerika gebracht hat. In das Land der Sieger.

Hildegard Knef, am 28. Dezember 1925 in Ulm geboren, hatte während des Krieges einige kleine Auftritte in Filmen, war Stipendiatin der UFA. Nach dem Krieg spielte sie im Berliner Schloßparktheater. Dort lernte sie auch ihren ersten Ehemann Kurt Hirsch kennen. Der amerikanische Filmoffizier verliebte sich in sie. Sie heiraten 1947. Hildegard Albertina Knef macht einige Filme. Den ersten deutschen Nachkriegsfilm "Die Mörder sind unter uns" von Wolfgang Staudte, "Zwischen Gestern und morgen" und "Film ohne Titel", für den sie auf dem Filmfest in Locarno als beste Schauspielerin ausgezeichnet wird. Doch da sitzt sie schon im Flugzeug nach Amerika. Der große amerikanische Produzent David O. Selznick hat sie unter Vertrag genommen. Und jetzt hockt sie in Los Angeles auf den gepackten Koffern, sie bekommt keine Filmangebote und ihr wurde gerade das Apartment gekündigt. Kurt Hirsch hat gute Beziehungen zu den jüdischen Emigranten aus Deutschland. Von einem Regisseur mieten sie ein Haus im Benedict Canyon in Santa Monica. Das Haus ist groß, über einen Hügel gebaut und billig. Im Garten wimmelt es von Klapperschlangen. Elf Kilometer Luftlinie südwestlich sitzt Lion Feuchtwanger in seinem Arbeitszimmer im dritten Stock der Villa Aurora und schreibt an dem Theaterstück "Wahn oder Der Teufel in Boston" über die Hexenverfolgungen in Massachusetts. Hildegard Knef hat von Feuchtwanger noch nie etwas gehört oder gar ein Buch von ihm gelesen. Der Autor von "Erfolg", "Exil" und "Die Geschwister Oppenheim" hat Ärger. Die "Kommission zur Untersuchung amerikafeindlicher Umtriebe" unter dem Vorsitz von Joseph R. McCarthy bezichtigt ihn des Kommunismus und verweigert ihm deshalb die amerikanische Staatsbürgerschaft. Hildegard Knef, die hier "Hildegarde Neff" heißt, hat andere Sorgen. Da sind die Klapperschlangen. Keine Filmangebote und die Karriere, die dadurch ins Stocken kommt. Sie hasst Ruhe, Untätigkeit, Einsamkeit. Vor allem Einsamkeit.

In der Küche arbeitet der Partyservice an den Kanapees. Dr. Joachim Bernauer, der Leiter der Villa Aurora, begrüßt den deutschen Honorarkonsul von Los Angeles, begleitet ihn zur Terrasse durch das Getümmel von Prominenten, Halbprominenten und Sternchen auf Abruf. Der Konsul, der ein wenig aussieht wie der Schauspieler Joachim Król, küsst die Hand der Knef und bekennt, dass er fast alle ihre Filme gesehen hat. "Irgendwie sehen alle Menschen in Los Angeles aus wie bekannte Schauspieler", sagt eine Dame in Kunstschlangenhaut, die die Ähnlichkeit scheinbar auch bemerkt hat, und deutet mit dem Kinn durch die offene Terrassentür auf den Konsul. Einer jungen Frau ist im Getümmel der Rucksack aufgegangen, auf die Terrakottafliesen regnet es Knef-Schallplatten und Bücher. Einer sagt: " ...Romane geschrieben hat sie auch?" Ein anderer fragt seine Begleiterin: "Warum setzt sie sich all dem Streß und Gegackere hier immer noch aus? Das hat sie doch eigentlich gar nicht mehr nötig." "Na, die braucht Geld", antwortet die Angesprochene kühl. Die Knef hätte eben zu lange auf zu großem Fuß gelebt. "Mit Zahlen konnte ich noch nie umgehen und habe dazu oft den falschen Menschen vertraut", erklärte Hildegard Knef bereits in unzähligen Interviews ihre permanente Geldknappheit. Maximilian Schell flirtet mit der Vertreterin der deutschen Exportunion und Axel Andree, Knef-Freund und persönlicher Manager des Stars, prüft das Mikrofon vor dem großen Sessel, in den sich die Knef gleich setzen wird. Draußen auf der Terrasse erinnert sich die Künstlerin an ihre erste Zeit in Hollywood. Daran, dass sie Opfer der Filmpolitik war, dass Selznick sie einfach vom europäischen Filmmarkt weggekauft hat, um dort Platz zu schaffen für seine eigenen Stars. Gina Lolobrigida erging es in jener Zeit genauso. "In drei Jahren kein einziger Film", sagt die Knef. Und dennoch sei die Zeit mit die wichtigste in ihrem ganzen Leben gewesen: "Ich war unter Vertrag und hatte Englisch zu lernen und artig zu sein. Hin und wieder machten sie eine Probeaufnahme mit mir, eine Stunde. Dann machten sie irgendeine blöde Frisur, mit der ich schwachsinniger aussah, als ich schon geworden war. Das ganze war schon ziemlich tragisch. Es wären verlorene Jahre gewesen, wenn ich nicht einen Ludwig Marcuse und Emil Lustig gehabt hätte, die mich gezwungen haben, Literatur wirklich zu lesen, die im Deutschland der Nazizeit verboten war." Gleich schräg gegenüber der "Schlangengrube" im Benedict Canyon wohnten die Lustigs. Herr Lustig war Theaterkritiker und gerade noch rechtzeitig aus Berlin weggekommen. Bei der ersten Begegnung drückte er der jungen Schauspielerin aus Deutschland Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" und Thomas Manns "Faustus" in die Hand. Sie lernte auch Feuchtwanger kennen. Sanft schrullig kam er ihr vor, das schreibt sie jedenfalls in ihrem Buch "Der geschenkte Gaul", das 1970 erschien, sich millionenfach weltweit verkaufte und mit Auszeichnungen überschüttet wurde. Axel Andree und Paul von Schell, ihr dritter Ehemann, mit dem sie seit 1977 verheiratet ist, kommen auf die Terrasse. Es ist Zeit für die Gedichte.

Sie langweilt sich, wird kribbelig. Ständiges Klamottenangucken und Inselbesichtigen füllen sie nicht aus. Sie hasst diese unproduktiven Zerstreuungen. Dabei ist alles so nett. Die kleinen weißen Häuser drängen sich dicht an den braunen Felsen. Oben drauf steht die Akropolis. Die Kapitänshäuser mit ihren Terrassentürmchen und die verwinkelten Gassen brachten dem Städtchen sogar den Titel "schönster Ort Griechenlands" ein. Doch Hildegard Knef will wieder ins Hotel, läßt Lindos an der Ostküste von Rhodos hinter sich, leiht sich vom Hoteldirektor, einem Schweizer mit dem Namen Sprüngli, eine Schreibmaschine und hackt Buchstaben in die Urlaubsruhe. Es ist März 1964. Inzwischen hat sie einige Filme gedreht, unter ihnen sogar einen mit Gregory Peck. "Snows of Kilimanjaro" heißt er. Sie spielte und sang die Ninotschka in Cole Porters Musical "Silk Stockings" und war für zwei Jahre der Star am New Yorker Broadway. Der Skandal um eine 20 Sekunden Nacktszene in Willi Forsts Film machte sie in der Bundesrepublik von 1950 zur Ausgestossenen. Die junge Republik hatte sich noch immer nicht vom Skandal des Krieges und der Konzentrationslager erholt, litt unter kollektiver Amnesie und widmete sich mit ganzer Seele dem großen materialistischen Märchen; dem Wirtschaftswunder. Im Nachhinein war man Hildegard Knef vielleicht sogar ein wenig dankbar, dass sie Vorwand und Objekt war, ein Grundgefühl von Sauberkeit und Anstand zu re-erigieren. Dass ihre nackten Brüste den Skandal von über sechs Millionen ermordeter Juden überdeckten. Jetzt sitzt sie im dunklen Hotelzimmer auf Rhodos und hackt in die Tastatur der Schreibmaschine. Sie ist seit 1962 mit ihrem zweiten Ehemann David Cameron Palastanga verheiratet, einem Schauspieler, den sie 1959 in England bei den Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm kennengelernt hat. Er ist auch der Held ihres ersten literarischen Werks "Des Griechen griechische Nase". Die Kurzgeschichte beschreibt Camerons Suche nach seinen Vorfahren auf der griechischen Insel. Später einmal wird sie in einem Interview sagen, dass Schreiben ein beschwerlicher Akt ist: "Man sitzt an seiner Schreibmaschine und verblutet."

Es ist hell. Sehr hell. Die Deckenfluter, die vom Kamerateam unter die Holzdecke geschraubt wurden, tauchen den Raum in weißes Licht. Frau Knef sitzt im Sessel. Im Mittelpunkt. Applaus. Maximilian Schell hat eine kleine Ansprache gehalten. Der Kameramann ist jetzt ganz nahe bei der Knef. Großaufnahme. Seit einigen Wochen begleitet ein achtköpfiges Filmteam den Star um die Welt. Gedreht wurde in ihrer Berliner Wohnung, auf der Queen Elizabeth II, auf der sie nach Amerika kam, in New York und jetzt hier in Los Angeles. Der Dokumentarfilm soll nächstes Jahr ins Kino kommen. Hildegard Knef liest ihr erstes Gedicht vor. Es sind hauptsächlich Liedertexte, die sie selbst geschrieben hat. Die junge Frau mit dem Rucksack sitzt auf den Terrakottafliesen und schaut zu ihrem Idol auf. "Vielleicht fragt dich eines Tages jemand, der noch unbestechlich: Wieviel Menschen waren glücklich, daß du gelebt? Und du gleitest durch Spiralen der Erinnerung, durch Verzweiflung und durch Freude, und die Trauer macht dich stumm, weil du‘s nicht weißt." Zur Verleihung des Echo 2000 im November letzten Jahres hat Roger Willemsen ihr diese Frage mit einem "Wir alle" beantwortet. Die anwesende deutsche Musikindustrie spendete die Standing Ovations dazu und die Knef hatte feuchte Augen. Ihre erste Schallplatte hat sie 1951 aufgenommen. "Das Lied vom einsamen Mädchen" aus ihren Film"Alraune" von Arthur Maria Rabenalt wird 1952 gepresst und später von Velvet Underground und Nico Icon gecovert. 1963 dann die erste Langspielplatte "So oder so ist das Leben". Seit 1965 nur noch eigene Texte. Sie geht auf Tournee. Auftritt in der Berliner Philharmonie. Sie wirbelt lustvoll die U- und E-Kategorien der deutschen Musikkritik durcheinander. Riesenerfolg. 1980 der Einbruch. Ihre große Tournee wird ein Flop. Die Scheidung von Cameron, Drogensucht und kaum angemessene Engagements haben sie gezeichnet. Ihr Wohnzimmer scheinen die Klatschspalten der deutschen Yellowpress zu sein. Sie ist wieder einmal unten. 1987 spielt sie in dem Musical "Cabaret" im Berliner Theater des Westens das Fräulein Schneider. Publikum und Presse sind begeistert. "Hilde ist wieder da" dichtet eine Boulevardzeitung.

Es ist dunkel. Es ist 1945. Berlin in Trümmern. Hildegard Knef in russischer Gefangenschaft. Sie liegt irgendwo östlich von der Hauptstadt in einem dunklen Raum, neben ihr eine Tote. Alle paar Stunden kommen Soldaten, schleppen sie zum Verhör. Die Russen halten sie für eine Spionin. In Wehrmachtsuniform nahm sie am Kampf um Berlin teil, versuchte sich abzusetzen, in den Teil Deutschlands, der von den Amerikanern besetzt wird. Die Uniform ist Tarnung und Schutz vor Vergewaltigung. Die Zeit in dem dunklen Loch hat sie geprägt, sagt sie 55 Jahre später. Sie könne ganz schlecht alleine sein: "Der Gedanke daran macht mich bereits wahnsinnig." Ein polnischer Stabsarzt ermöglicht ihr die Flucht.

"Danke" sagt Frau Knef und schenkt der jungen Frau mit dem Rucksack und den frisch signierten Knef-Schallplatten und Büchern einen so herzlichen Blick, dass es der jungen Frau ganz warm in der Magengrube wird und ein sanfter elektrischer Strom über ihren Körper läuft, der all die kleinen Härchen aufstellt. "Es ist so als würde ich sie schon immer kennen", sagt die 26jährige. "Und sie mich", fügt sie nach einer kurzen Pause hinzu. "Diese Verlorenheit, die sie in ihren Filmen ausstrahlt, die Melancholie und Einsamkeit ihrer Lieder und ihr Witz, das alles gibt vielem eine Form, was irgendwo da drinnen ist." Sie tippt mit dem Finger auf die Stelle unter ihrer Brust, hinter der sie wohl ihre Seele vermutet. Der Kameramann flucht, weil er es nicht geschafft hat, die Szene rechtzeitig einzufangen. Einer aus dem Team verhandelt mit der jungen Frau, ob sie die Sätze nicht noch einmal an Frau Knef richten könnte. "Laß mal", sagt die Knef. Alle Herzlichkeit ist aus ihrem Gesicht gewichen. Sie ruft nach ihrem Mann und flüstert ihm zu: "Laß uns bitte gehen." Draußen auf der Terrasse liegen leere Sektflaschen. Es ist dunkel. Die mediterran anmutenden Bäume im Park der Villa Aurora biegen sich leicht im Wind und unten macht der Pacific Coast Highway Number One eine gefährliche Kurve.

Text von: Matthias Zuber