ZDF, aspekte, 5. Juli 2002

Balkan erobert Hollywood:
Zwischen Bürgerkrieg und Traumfabrik


In Frühjahr 2002 lief der Film »The Deep End« in unseren Kinos. Ein Thriller made in Hollywood. Einer der Hauptdarsteller in diesem Streifen ist Goran Visnjic, von der US-Presse als der »Tom Cruise von Kroatien« gehandelt. Goran Visnjic ist kein Einzelfall: In Hollywood sieht man Schauspieler aus Ex-Jugoslawien als Geheimtipp. Sie gelten als besonders innovativ und haben einen besonderen Charme, meint man in Hollywood, kurz: Schauspieler aus dem Balkan sind »in«. Das war nicht immer so. Woher kommt das plötzliche Interesse der amerikanischen Filmindustrie an den Künstlern aus Ex-Jugoslawien?


Mira Furlan

Es geht nicht zuletzt um die Filmstorys ...
Dass ein Schauspieler aus dem ehemaligen Jugoslawien in einem Hollywood-Film oder einer weltweit erfolgreichen Serie eine Rolle besetzt und dabei mehr oder weniger mit seinem eigenen Schicksal konfrontiert wird, ist kein Einzelfall. So wie Goran Visnjic wechselten viele Schauspieler sozusagen "direkt von den Schlachtfeldern des Balkan in die US-Traumfabriken". Dort spielen sie dann oftmals Charaktere in einem Szenario, das mit Krieg, Flüchtlingsleid, Angehörigen und dergleichen zu tun hat. Jugoslawischer Akzent, so heißt es, ist begehrt, weil er so geheimnisvoll und furchteinflößend klingt. Es gibt aber neben Krieg noch weitere spezielle Einsatzgebiete für Mimen aus dem Balkan: Vampire, Terroristen und Außerirdische. Ca. 50.000 Schauspieler aus dem ehemaligen Jugoslawien versuchen in Hollywood ihr Glück. Manche kamen, weil sie mussten, so wie Mira Furlan und Rade Serbedzjia. Die beiden jugoslawischen Superstars wären in ihrer Heimat geblieben, hätte es den Krieg nicht gegeben.


Mira Furlan hat man aus Jugoslawien vertrieben. Sie, die einst die berühmteste Schauspielerin Jugoslawiens war, hat man in Kroatien aus dem nationalen Gedächtnis radiert. Vergessen sind ihre Erfolge am Kroatischen Nationaltheater in Zagreb, ihre Theater-Preise und Filmrollen. Ihre Landsleute können ihr noch immer nicht vergeben, dass sie sich öffentlich gegen den Krieg aussprach, dass sie darauf bestand, in Zagreb und Belgrad Theater zu spielen und dass sie einen serbischen Ehemann hat. In Hollywood spielte Mira Furlan u.a. eine außerirdische Botschafterin (in "Babylon5"), auf deren Heimatplanet ein blutiger Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Die Drehbuchautoren arbeiteten in ihre Rolle Elemente aus ihrer persönlichen Kriegs- und Fluchtgeschichte ein. In Hollywood fühlt sich Furlan noch immer fremd. "Was für mich hier zu spielen bleibt, sind wohl Außerirdische", kommentiert sie verbittert.


"Wenn du als Deutscher, Russe oder aus Jugoslawien nach Hollywood kommst, ist es schwer einen Guten zu spielen", beschwert sich auch Rade Serbedzjia. Dennoch kann er sich inzwischen vor Aufträgen kaum retten. Meist muss er in die Rolle eines russischen Mafiakillers, eines sinisteren Geschäftsmannes oder aber eines bösen russischen Politikers schlüpfen. Goran Visnjics Schicksal verlief anders: Im jugoslawischen Bürgerkrieg kämpfte er Anfang der 90er Jahre gegen die Jugoslawische Volksarmee und verließ seine Heimat, weil er zahlreiche Angebote aus Amerika bekam. Aber Goran ist immer noch Reservesoldat der Kroatischen Armee. In einem Interview sagte er kürzlich: "Bevor nicht etwas wirklich Schlimmes wie hier im September in New York passiert, würden sie mich wahrscheinlich nicht einziehen. Aber wenn, bräuchten sie gar nicht anrufen: Ich würde freiwillig hingehen." Mittlerweile ist der gutaussehende Kroate der Star der amerikanischen Skalpell-Oper "ER-Emergency Room", wo er den eingewanderten Arzt Dr. Luka Kovac spielt. Und Dr. Kovac verliert während des Bosnien-Kriegs seine Frau und wird von Kriegs-Albträumen heimgesucht ...


Es geht eine bestimmte Faszination von Südosteuropa aus, die Medienmogule in Hollywood haben die Schublade "Balkan" längst besetzt: "Das Balkan-Phantasma", bietet der slowenische Philosoph Slavoj Zizek als Analyse an, "ist am besten in Filmen sichtbar, die das unterschwellig Bedrohliche in der westlichen Zivilisation darstellen: irrationaler Fanatismus, despotische Machtgier und barbarische Gewalt." Und Hollywoods Filmemacher und Produzenten brauchen, ähnlich der Computerindustrie, ständig neuen "Content-Input", neue Talente und Geschichten, schlicht: das Ausland wird angezapft. Wolfgang Längsfeld, Professor an der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film, bringt es wie folgt auf den Punkt: "Jede Generation von Filmemachern und Schauspielern erzählt von den Geschichten und Figuren ihrer Zeit und ihres Erfahrungshorizontes. In unseren übersättigten Wohlstandsgesellschaften wird immer weniger erlebt und erlebt: Es geht nur noch darum, wer mit wem schläft und was man wo einkaufen kann."

Autor und Kamera: © Matthias Zuber / polyeides medienkontor