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  Berlinale Studio, Ausstrahlung: 17.02.2006, Länge: 3 Minuten
BUNTE TRÄNEN
SYNOPSIS
 
Autoren: Thomas Bühring und Matthias Zuber,

Der legendäre Kodachrome 40 wird einundvierzig und vom Markt genommen. Die Produktion ist bereits eingestellt und ab November 2006 kann man die schwarzen Magazine mit den gelben Aufklebern auch nicht mehr entwickeln lassen. Eine Epoche ist vorbei. Zeit für ein Requiem auf den Super-8-Film. Paul Simon sang 1973: Mama, don’t take my Kodachrome away. Für mindestens drei Generationen sind die Farben ihres Erinnerns die von Kodachrome 40. Ein Ausflug nicht nur in ein Stück deutscher Sozialgeschichte, sondern auch in die große, weite Kunstwelt eines lange Zeit unterschätzten Mediums. Prominente Filmemacher wie Dominik Graf und Franka Potente schwärmen von der Poesie des K40 und von den unvergleichlichen Farben.

Für nunmehr drei Generationen ist es die Farbe der Erinnerung: Kodachrome 40. Erdig. Mit warmen Pigmenten. Grobkörnig. Als 1965 die ersten Super-8-Kassetten mit dem Filmmaterial auf den Markt kamen, bedeutete das eine Revolution. Horden von Super-8-Kameramänner und Frauen belagerten Hochzeiten, Geburtstage, Taufen, Urlaubsstrände und Berggipfel. Sie speicherten in den gelben Kassetten und den knapp einen halben Millimeter dünnen Filmstreifen die kollektiven Familienerinnerungen. Die ersten Schritte des Nachkommen, Omas Siebzigster, die Einschulung, der Urlaub an der Cote. Das alles in den starken leuchtenden Farben von Kodachrome 40. In einer bis dato unübertroffenen Schärfe. 1980 verspulten alleine die Deutschen über 20 Millionen Kassetten. Die Amateurfilmemacher überlieferten so unbewusst ein buntes Stückchen Lebensgefühl und Sozialgeschichte, das manchmal auch skurrile Züge annahm. In „Deutschland privat“ zeigt der Filmemacher Robert van Ackeren drollige Sexspiele von Mamis und Papis aus den sechziger und siebziger Jahren auf Super-8.

Auch andere Regiekollegen entdeckten das Material für sich. Der Amateurfilm gelang wegen seiner bildästhetischen Eigenschaften, die so selbst von Profimaterial nicht erreicht werden, schon bald in die Kunst und ins Kino. Wim Wenders benutzte es in „Paris Texas“, der Videoclipregisseur Graw Böckler dreht fast alle seine Werke auf gelben Kassetten mit dem roten Logo. Der VW-Spot zum Golf entstand auf K40, wie das Kultmaterial von seinen Fans liebevoll genannt wird. Auch Hollywood filmt immer wieder mit K40 wie in dem Blockbuster „Natural Born Killers“, ,„The Game“, „U Turn“ oder „Crazy Horse“. Benedikt Neuenfels hat für Dominik Grafs „ Der rote Kakadu“ Teile des Films ebenfalls auf Kodachrome 40 gedreht. Und der „Lola-rennt“-Kameramann Frank Griebe bannte Franka Potentes ersten Film als Regisseurin gerade komplett auf Super-8.

In den 60er – 70er Jahren entwickelte sich Super-8 dann in Bewegungen wie „Alle Macht der Super-8“ Gegenkulturen zu der von Adorno und Horkheimer erkannten und definierten Kulturindustrie. Punkbands wie Die Tödliche Doris drehten Super-8-Filme zu ihren Songs und wurden so ungewollt zur Avantgarde von MTV und Co. Ein Spätausläufer dieser Gegenkultur ist Klaus Beyer. Der gelernte Kerzenzieher brachte es sogar mit seinen Super-8-Streifen, die Beatels Songs visualisieren, zu einiger Berühmtheit. Franck Behncke, Bassist bei der Gruppe Mutter, managet inzwischen das Original aus Kreuzberg und geht immer wieder mit ihm auf Tournee.

Immerhin über 30.000 Kassetten hat Kodak noch 2004 alleine in Deutschland verkauft gegen die übermächtige Videokonkurrenz. Trotz des Kultstatus hat der Konzern den Film vom Markt genommen. Bis November 2006 kann man die wenigen K 40, die noch im Handel sind, in einem Kopierwerk in der Schweiz entwickeln lassen. Dann ist Schluss. Die Fans weinen bunte Tränen. Die Fabrik in Renens bei Lausanne soll zwar schon verkauft sein und Ende diesen Jahres abgerissen werden. Doch noch befindet sich dort das einzige Labor in Europa, in dem der Kodachrome 40 entwickelt wird. Die Erinnerungen des 21 Jahrhundert sind atomistischer, von geringerer Haltbarkeit und verändern sich ständig durch Umformarierungen von VHS auf DVD.

Die Vergangenheit ist uns ein Stückchen unsicherer geworden,
jetzt wo K40 selbst Geschichte ist.