ARD, Kontraste, 10.06.2004
Einbürgerung
 
Keine Arbeit, keinen Pass - warum einer jungen Frau die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert wird

Sie war sechs Monate alt, als sie nach Deutschland kam. Sie fühlt, lebt und denkt wie alle anderen, die in diesem Land aufgewachsen sind. Nur weil sie während des Einbürgerungsverfahrens arbeitslos wurde, wollen ihr die Behörden keinen deutschen Pass mehr ausstellen. Wer wie die junge türkischstämmige Schauspielerin berufsbedingt keine regelmäßige Arbeit hat, der ist hier unerwünscht. Axel Svehla und Matthias Zuber begleiteten die Verzweifelte auf ihrem Weg durch die Institutionen.
Sie ist Schauspielerin. Erfolgreich, begabt und gefragt. Sie hat und kann alles, was es braucht, um sich "integriert" nennen zu dürfen. Sie war ein Baby als sie hierher kam. Deutschland ist ihre Heimat.

Nur den deutschen Pass, den kriegt sie nicht. Und das, vier Jahre nachdem die rot-grüne Koalition stolz ihr neues Staatsbürgerschaftsrecht präsentiert hat. Axel Svehla und Matthias Zuber haben versucht, das zu verstehen.

Sükriye Dönmez lebt seit über 35 Jahren in Deutschland.

Sükriye Dönmez:
"Zu einem größten Teil bin ich deutsch und trotzdem muss ich jedes Mal beweisen, dass ich Recht habe, in Deutschland zu leben."

Als sie ein halbes Jahr alt war, kam sie mit ihren Eltern aus der Türkei. Hier hat sie Freunde gefunden, ist zur Schule gegangen, sie arbeitet hier. Schon vor langer Zeit hat sie die Deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.

Sükriye Dönmez:
"Ich warte halt seit fünf Jahren schon darauf. Den Antrag habe ich im März '99 gestellt. Und ich verstehe nicht wie ich ihnen schaden kann, wenn ich den deutschen Paß habe? Ich weiß es nicht!"

Zwar erteilte das Bezirksamt eine Einbürgerungszusicherung, verweigert aber die Einbürgerung. Der Grund: Frau Dönmez war zwischenzeitlich arbeitslos. Sie ist Schauspielerin. Zur Zeit hat sie ein Engagement an einem türkischen Theater in Berlin. Sie spielt die Hauptrolle. Und sie spielt, was sie auch in Wirklichkeit ist: eine emanzipierte, moderne, junge Frau.

Sükriye Dönmez:
"Was ist denn nun? Die Zusicherung habe ich, die Ausbürgerung habe ich. Ich arbeite. Also wo liegt das Problem?"

Das Problem ist das Einbürgerungsgesetz selbst.

Joachim Krüger, Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Wohnen und Personal Rathaus Charlottenburg:
"Die Dame ist Schauspielerin. Und da gibt es eben dann sicherlich Phasen, wo es schwer ist ein Engagement zu finden. Wo man raus ist aus dem normalen Lohnbezug. Und wenn man dann gerade in dieser Phase in die Prüfung gerät, dann sieht das Ganze von Gesetz wegen sehr schwierig aus."

Das heißt: Sükriye Dönmez bekommt den deutschen Pass nicht, weil sie Schauspielerin ist. Denn Schauspieler sind zwischen ihren Engagements arbeitslos und Arbeitslose bekommen nicht den deutschen Pass. Auch nicht, wenn sie, wie Frau Dönmez, die Arbeitsvermittlung aufsuchen.

Peter Wilcke, Vermittler bei der Zentralen Bühnen-, Fernsehen- und Filmvermittlung Berlin:
"Arbeitslosigkeit gehört zum Profil des Schauspielberufes dazu. Es ist einfach eine Konstante, mit der muss jeder rechnen, der diesen Beruf ergreift."

Sükriye Dönmez spielt nicht nur Theater. Auch in Fernsehserien und Filmen erhält sie immer wieder Rollen.

Sükriye Dönmez:
"Gerade, wenn man Filme dreht, dreht man halt nicht zwei Jahre oder drei Jahre durchgehend und dazwischen muss ich mich immer wieder arbeitslos melden. Allein wegen der Versicherungen."

Wenn Sykriye Dönmez nicht engagiert ist, versucht sie sich trotzdem über Wasser zu halten. Sie schreibt mit einer Autorin an einem Drehbuch, das sie Produktionsfirmen anbietet. Für ihre Einbürgerung spielt das keine Rolle.

Joachim Krüger, Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Wohnen und Personal Rathaus Charlottenburg:
"Das sind Tatbestände, auf die das Gesetz keine Rücksicht nimmt."

Eine absurde Regelung. Denn Sükriye Dönmezs Heimat ist Deutschland. Hier lebt sie, hier arbeitet sie, hier hat sie ihre Freunde. Seit 2000 gibt es ein neues Einbürgerungsgesetz. Integration war das Schlagwort. Doch seit 2001 gingen die Einbürgerungen um fast ein Viertel zurück. Das Einbürgerungsgesetz ist unflexibel. So hat nicht nur Sükriye Dönmez unter diesen starren Regeln zu leiden.

Joachim Krüger, Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Wohnen und Personal Rathaus Charlottenburg:
"Es könnte als ein Widerspruch gesehen werden, dass auf der einen Seite der Gesetzgeber die Intention hat, zu integrieren, also möglichst vielen Menschen den Weg in die Staatsbürgerschaft zu eröffnen, die das gerne möchten, aber auf der anderen Seite lässt er eben wenig Spielraum, sich über die sehr rigiden Vorstellungen hinwegzusetzen."

Sie ist enttäuscht.

Sükriye Dönmez:
"Jedes Mal beweisen zu müssen, dass ich Recht habe, hier zu leben. Rechte habe zu arbeiten. Und wenn man über 30 Jahre In Berlin lebt, beziehungsweise in Deutschland, will man nicht ständig beweisen müssen, dass man dieses Recht hat. Und das nimmt mir dieses deutsche Gefühl, was ich ja habe, womit ich ja aufgewachsen bin, reißt es mir immer wieder raus. Und damit tun sie weder sich einen Gefallen, noch mir. Und wenn es gut miteinander klappen soll, dann sollte man diese Gesetze ändern."

Politiker fordern ja immer wieder die "Integration" von Ausländern. Wir wünschen uns die Integration deutscher Politiker und Beamter in die Realität des 21. Jahrhunderts.



Autoren und Regie: Axel Svehla und Matthias Zuber, polyeides medienkontor münchen / berlin