arte, Metropolis, 26.07. 2003
Tod des Techno
 
Die Techno-Szene ist gespalten. Während die Loveparade und ihre Anhänger auf kommerzieller Ebene noch den Markt anführen, laufen ihnen auf musikalischer Ebene die Leute weg – in die Keller der Stadt, wo die junge Generation Innovationen schafft und versucht, sich öffentlich von dem populären Techno-Image abzugrenzen.

Ein paar Personen lehnen etwas lustlos an den Stahlträgern. Zu buntem Scheinwerferlicht und bei verrauchter Atmosphäre bewegen sich andere zu hämmernden Beats der auf den Plattentellern zusammen gemischten Rhythmen. Immer häufiger wirkt der 'Tresor‘, Berlins Vorzeige-Club in Sachen Techno, als abgemagert in viel zu großen Hallen. Er versteht sich gerne als 'Tresor‘, als Safe, zur Bewahrung des Technos. Doch vielleicht sollte mal jemand die Tür aufsprengen und etwas frische Luft reinlassen.
Die Stimmung wirkt alles andere als euphorisch. Es geht eher um das Image, überhaupt da zu sein. Daran hält das Publikum seit Jahren fest – oder lockt nur noch die Leute aus der Provinz an, die enthusiastisch „schon immer mal ins Tresor“ wollten.

Man versucht weiter, sich mit dem Glanz aus den 80er und 90er Jahren zu schmücken, in denen die Techno-Welle ihren Höhepunkt hatte. Doch die Szene erlebt eine Phase, in der sich ein Konglomerat aus unzähligen Labels, Musikstilen und Interpreten bildet, deren einzelne Komponenten immer schwächer werden. Wöchentlich überschwemmen hunderte von Releases die Produzenten, die den bekannten Namen seit Jahren den goldenen Rahmen verpassen.

Dimitri Hegemann sitzt zurückgelehnt auf einem Stuhl im Kongressraum des Grand Hyatt am Potsdamer Platz. Der Fußboden ist mit rotem Teppich ausgelegt, auf dem die emsigen Schritte der eifrigen Produzenten nicht zu hören sind, die geschäftig um ihn herumlaufen. Als
Besitzer des „Tresors“ und Mitinitiator des Kongresses „Musik und Maschine“, ist er der Star der Szene. Auf der Veranstaltung, die am 10. Juli zum vierten Mal stattfindet, möchte man mit ausgewählten Teilnehmern diskutieren. Ein Panel bietet einen Rückblick über 15 Jahre Techno, ein anderer befasst sich mit neuen Vermarktungsstrategien. Man fragt sich unter anderem, warum Techno so „un-sexy“ geworden ist. Mit der Debatte über neue Einsatz- und Verdienstmöglichkeiten der Sparte „Wellness-Musik“ beantworten sich die Veranstalter die Frage eigentlich selbst. Dabei ist es der alteingesessene Kreis, der durch Veranstaltungen wie den Kongress die Definitionen für „Techno“ vorgibt.
In den letzten Jahren war an „Musik und Maschine“ auch eine Techno-Messe angegliedert – dieses Jahr entfällt sie... aus mangelndem Interesse?

Der Begriff 'Techno‘ ist heute eher negativ behaftet. Szene-Insider beklagen die Kommerzialisierung der Bewegung, der ein kräftiger Tritt in den Hintern guttun würde, um aus der Modewelle herauszukommen und wieder innovativ zu werden.

Ein junger Mann steht in einem Plattenladen und geht konzentriert die Titel durch. Heute abend legt er wieder in der 'Maria‘ auf. Mit einem Stapel Vinyl unter dem Arm betritt er etwas später den jetzt schon tobenden Club. Man kennt sich hier und erwartet sowohl Bekanntes als auch neue Überraschungen, vor allem, weil Sascha Ring aka 'apparat‘ in Kürze sein zweites Album auf 'Shitkatapult‘ herausbringt. Elektronische Beats heizen den Leuten ein und machen aus dem Raum einen dampfenden Kessel. Synchrone Bewegungen werden von Individualisten durchbrochen, die Menge brodelt.

Vor 6 Jahren gründete Marco Haas aka 't.raumschmiere‘ sein Label 'Shitkatapult‘, um aus dem Schubladendenken der Szene herauszukommen und eine Plattform für die jungen Leute der neuen Untergrundbewegung zu schaffen. Sein Konzept ist, kein Konzept zu haben und damit in kein Schema zu passen. Drei Jahre später stieg Sascha Ring mit ein. Die beiden Künstler grenzen sich bewusst vom Begriff „Techno“ und dem damit verbundenen Image ab. Das zeigen die Musiker auch an den Turntables, als „Hauptschlagadern der Berliner Kanalisation“. Ihre Musik ist electro quer Beet, electroclash, electropunk, Rock... selbst bei der eigenen Musik mag man sich nicht festlegen. Und gerade das scheint großen Anklang zu finden. Während dem 'Tresor‘ langsam die Luft ausgeht, tanzt sich die neue Generation gerade warm.

Daniel Meteo gehört zu den DJs, die auf 'Shitkatapult‘ ihre Musik herausbringen. Er organisiert die 'Shitparade‘, die am 12.7. als Gegenveranstaltung zur Loveparade stattfindet. Mit Künstlern wie t.raumschmiere, apparat und Ellen Allien werden sie sich hier in ihrem „Lieblingsclub Maria“ versammeln und feiern, die neuen Akteure mit ihrer Musik und ihren Anhängern. Die Parade ist eigentlich keine Parade, jedenfalls findet sie nicht wie die Loveparade auf den Straßen statt. Auch hier bleibt man lieber in den 'Kellern‘ unter sich und will sich nicht anpassen.

Zwei Tage nach dem Techno-Kongress wird wieder die Loveparade durch Berlins Straßen ziehen, doch auch hier bemerkt man durch rückläufige Besucherzahlen die Müdigkeit, die die Veranstaltung erfasst hat. Da das populäre „Techno“-Bild sich seit Jahren nicht verändert hat, steht auch alles, was damit zusammenhängt, still oder versucht sich, aufgesetzt fröhlich oder aufgeputscht, vorwärts zu schieben. Für die Enkel der alten Protagonisten kommt da eine Veranstaltung wie die 'Shitparade‘ gerade recht – was sich auch anhand der Besucherzahlen festmachen lässt.

Es ist eine neue Untergrundbewegung entstanden, ähnlich der der 80er Jahre, dessen Feeling man versucht, neu zu erschaffen, jedoch mit dem Abspruch, Neues zu entwickeln.
Kommerziell lassen sich jedoch kaum Erfolge verbuchen, da jeder sein eigenes Sub-Genre für sich zu erfinden scheint und dadurch die Artenvielfalt nicht direkt ersichtlich wird. Da sie in keine konkrete Schublade passen, belegen weiterhin die bekannten Größen die teuren Plätze und blockieren damit den Markt für die Neuen.

Lebendig geht es bei 'bpitchcontrol‘ zu, dem Label von Ellen Allien, das seit 4 Jahren als unabhängiges Sprachrohr für junge Künstler und DJs dienen soll. Sowohl vor dem Büro in der Oranienburger Straße, als auch in den Räumen bemerkt man die geschäftige Atmosphäre, in der neu definierte Musikrichtungen produziert werden. Die junge Frau scheint voller Energie, obwohl sie die letzten Tage in einem Club nach dem anderen aufgelegt hat und jetzt selbst sagt, dass sie bis zur Parade eine Pause braucht.

Die neuen Akteure sind ehrgeizig, innovativ und lebendig, jedoch schwer einzuordnen.

Der Beitrag zeigt die zwei Seiten – die alte Generation, die sich eigentlich nur selbst im Wege steht, und die neue, die sich nicht so recht festlegen möchte, um kein Klischee zu produzieren – und genau dadurch Erfolg hat.


Autoren und Regie: Dorothe Fesel und Matthias Zuber, Kamera: Matthias Zuber polyeides medienkontor münchen / berlin