Deutschlandradio Kultur, 23.06.2005, Länge: 6 Minuten
Im Osten was Neues
Der Erbauer des ersten Baumhaushotels Deutschlands
 

Autoren: Sonja Schwär und Matthias Zuber
Redakteur: Michael Schulte
Sendung: Kompass
Länge: ca. 5’30’’
Fassung vom 22.06.2005 / 1

Produktion: 22.06.2005; 12:30 Uhr im Studio 12 (DRadio)


Anmoderationsvorschlag:

Der Mann hat das mit den „blühenden Landschaften“ ganz wörtlich genommen. Am östlichsten Punkt Deutschlands - wenige Kilometer nördlich von Görlitz - hat Jürgen Bergmann vor 15 Jahren eine Firma für künstlerische Holzgestaltung eröffnet und parallel dazu entstand der Freizeitpark „Kulturinsel Einsiedel“. Inzwischen exportiert der Holzbildhauer seine Objekte in die ganze Welt und hat über 50 Angestellte. Von seinem Freizeitpark, in den jährlich über 70.000 Besucher kommen, leben weitere 60 Leute. In einer Gegend mit über 20 Prozent Arbeitslosigkeit ein echter Hoffnungsschimmer. Jetzt am Wochenende hat der geschäftstüchtige Holzkünstler seinen neusten Coup der Öffentlichkeit präsentiert: das erste Baumhaushotel Deutschlands. Eine Nacht in einem der Baumhäuser, in denen bis zu vier Personen Platz finden, kostet zwischen 160 und 220 Euro. Für Kompass haben Sonja Schwär und Matthias Zuber Jürgen Bergmann in seinem kleinen Königreich besucht.



Beitrag:

Musik 1: Fanfaren

Atmo 1: Vogelgezwitscher; Wind; Blätterrauschen.

Sprecher 1: Wie ein König steht Jürgen Bergmann hoch oben über seinem Märchenreich. Seine langen, grauen Haare trägt er zu einem Zopf gebunden. Er streicht sich langsam über seinen weißen Bart. Unten auf einem Hügel glitzern die kupfernen Zwiebeltürme eines mächtigen Holzschlosses. Ein kleines Dorf mit bunten Pilzdächern drängt sich dicht an den kleinen Blätterwald. Ein Indianerlager versteckt sich unter Nadelbäumen, hinter einem Hügel liegt ein gestrandetes Piratenschiff. Eine Horde Kinder rennt aus einer Erdhöhle.

Atmo2: Spielende Kinder

Sprecher 2: Jürgen Bergmann ist Holzbildhauer und besitzt eine Firma für künstlerische Holzgestaltung. Sein Königreich liegt am östlichsten Punkt Deutschlands. In der Nähe von Görlitz. Ist etwa sieben Fußballfelder groß und nennt sich „Kulturinsel Einsiedel“ – ein etwas anderer Freizeitpark. Zwischen den Dörfern und dem Schloss stehen fantastische Figuren aus Holz, Schaukeln, ein Trampolin und Rutschen, die sich um Türme und Baumhäuser winden.

Atmo 3: Spielende Kinder in einer Tunnelröhre

Sprecher 3: Einige der Kinder krabbeln gerade in einen der Geheimgänge. Über 500 Meter Betonröhren bilden ein geheimnisvolles, unterirdisches Labyrinth. Der kräftige Holzbildhauer blickt belustigt zwischen die Baumwipfel nach unten auf sein Reich. – Doch Jürgen Bergmann war nicht immer Freizeitparkkönig:

O-Ton 1: Ich war zehn Jahre in der Forstwirtschaft. Habe dann aus meinem Hobby einen Beruf gemacht. Habe Holzbildhauer gelernt und habe am Tag der Währungsunion eine Firma als Holzgestaltungsfirma gegründet.

Sprecher 4: Der Anfang war schwer im östlichsten Zipfel Deutschlands, in dem die Arbeitslosigkeit seit Jahren bei etwa 20 Prozent liegt.

O-Ton 2: Man muss sich das so vorstellen, dass wir am Anfang ja keine Ahnung hatten vom real existierenden Kapitalismus. Und gearbeitet haben wir immer. Und wenn wir keinen Auftrag hatten, haben wir halt unsere Ideen verwirklicht und sie einfach an die Straße gestellt. Wie ne Art Ausstellungsfläche. Das Dumme ist nur, dass hier am Tag drei Autos vorbeigekommen sind.

Atmo 4: Vorbeifahrendes Auto

Sprecher 5: Sie hatten dennoch Glück. Der Tierpark Zittau wurde auf sie aufmerksam und sie erhielten ihren ersten Auftrag: ein Baumhaus.

O-Ton 3: Und damit war schon einmal ein richtiger Sprung passiert. Man hatte endlich mal ein Referenzobjekt.

Sprecher 6: Seitdem ging es mit dem Unternehmen stetig bergauf. Inzwischen sägen die über 50 Festangestellten von Jürgen Bergmann in ganz Europa an verrückten Holzprojekten. Unter anderem haben die Holzarbeiter ein Piratenschiff auf Mallorca gebaut, Holzburgen in der Schweiz und in England sowie ein Baumhausdorf in Malaga. Alle Objekte sehen ein wenig windschief aus, verwinkelt und bunt, als hätten sie Kinder entworfen. So zufällig wie Bergmanns Erfolg kam auch der Freizeitpark.

O-Ton 4: Wir haben eigentlich einen kleinen Musterspielplatz gehabt. Dann haben wir eine Kunstgalerie gebaut und über die Ausstellungseröffnung hat so eine Art Festkultur begonnen. Und es hat sich eine Spiellandschaft entwickelt. Eintrittsfrei. Bis sie dann irgendwann einmal die Dimensionen hatte, dass wir gesagt haben, entweder wir lassen jetzt alles einschlafen oder wir müssen Geld verlangen. Weil es ist halt zu aufwändig die ganze Geschichte. Ja und so ist dann der Freizeitpark entstanden.

Atmo 5: Gong

Sprecher 7: Und mit dem Freizeitpark entstand die Legende um Trolle, Elfen und den König Bergamo. Sie alle bevölkern die kleinen Täler, Hütten, Wälder und die Fantasie der Kinder. Zu Festen schlüpfen Jürgen Bergmann und seine Mitstreiter in ihre Fantasieidentitäten. Der kräftige Holzbildhauer mit dem weißen Bart ist dann König Bergamo. Über Freizeitpark und Firma regiert er von einem umgebauten Bauernhaus auf einem Hügel. Den Eingang bewacht ein Papagei.

Atmo 6: Papageiengeschrei

Atmo 7: Schritte auf Kies

Sprecher 8: Jürgen Bergmann geht über das Betriebsgelände direkt unterhalb seines Hauses. Für seine Arbeiter hat der Künstler immer ein anerkennendes Schulterklopfen übrig, einen interessierten, wachen Blick und wenn nötig einen Ratschlag. Wenn er manchmal so über den Hof geht, sagt er, wird ihm ganz schwindlig, wie schnell sich sein kleines Unternehmen entwickelt hat. Das klingt ehrlich, doch auch ein wenig Stolz schwingt mit.

Atmo 8: Schritte auf Kies

Sprecher 9: Er ist auf dem Weg zu seiner neusten Attraktion: dem ersten Baumhaushotel Deutschlands

Atmo 9: Motorsägen

Sprecher 10: Zwar war die offizielle Einweihung des Baumhaushotels letzten Samstag, doch es gibt noch einige kleine Details, die fertig gestellt werden müssen, bevor die ersten Gäste kommen.

O-Ton 5: Also wir können mal hochgehen. Es gibt eine Zentralplattform in der Mitte, auf die man über eine Treppe hochkommt und von da an gibt es ganz wilde Stege durch die Baumwipfel zu den verschiedenen Baumhäusern.

Sprecher 11: Die fünf Baumhäuser hängen bis zu zehn Meter über dem Waldboden und haben Platz für je vier Personen. Bergmanns Favorit: die zweistöckige, verwinkelte Baumvilla der Waldelfe Fiona. Der Aussicht wegen.

O-Ton 6: Das ist das Neißetal. Da drüben ist Polen. Wer hier oben schläft, der sieht als erster die Sonne aufgehen.

Sprecher 12: Ein bisschen hört sich Bergmanns Geschichte wie ein Märchen an. Da verwirklicht einer seinen Traum und schafft sich sein eigenes Königreich inmitten von Arbeitslosigkeit und Konkursmassen. Doch anders als im Märchen gibt es kein endgültiges Happy End. Bergmann muss jeden Tag um sein Königreich kämpfen. Deshalb denkt der umtriebige Geschäftsmann bereits an sein nächstes Projekt: Ein Erlebnishotel gleich gegenüber des Freizeitparks.